Auf seiner Sitzung am gestrigen Dienstag beschäftigte sich der französische Nationale Rat für den ökologischen Übergang mit der Frage nach der Wiedereinführung von gewissen Neonikotinoiden. Es ist ein Thema, das in Frankreich, aber auch diesseits des Rheins Unzufriedenheit schürt. EURACTIV Frankreich berichtet.
Der Nationale Rat für den ökologischen Übergang (CNTE), der gestern im Beisein der kürzlich zur Ministerin für den ökologischen und solidarischen Übergang ernannten Barbara Pompili tagte, hatte zahlreiche Themen auf seiner To-Do-Liste.
Von den rund fünfzig Mitgliedern der CNTE wurde erwartet, dass sie sich vor allem auf die Vorschläge der Bürgerkonvention zum Klimawandel konzentrieren würden. Am Ende war es jedoch ein anderes, weniger grünes Thema, das im Rampenlicht stand: die Wiederzulassung von neonikotinoiden Insektiziden – die nicht selten als „Bienenkiller“ bezeichnet werden.
Für mehrere Umweltverbände war das Maß damit voll: Unter anderem beschlossen die Liga für Vogelschutz, France Nature Environnement (FNE) und die Friends of the Earth, das Treffen im weiteren Verlauf zu boykottieren.
„Surrealer“ Schritt zurück
Bereits Anfang August hatte der Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Julien Denormandie, die Wiedereinführung von Neonikotinoiden angekündigt und damit für Aufregung gesorgt.
Im Interview mit der Zeitung Libération prangerte Alain Bougrain-Dubourg, Vorsitzender der Liga für Vogelschutz, beispielsweise einen „surrealistisches Rückschritt“ an. Er kritisierte die „Aggressionen gegen die Natur und die deutlichen Schritte zurück“.
Ein Blick zurück: Am 1. September 2018 waren fünf Neonikotinoid-Insektizide in Frankreich offiziell verboten worden. Dies galt damals als ein großer Sieg für die Umweltverbände und die Abgeordneten, die das entsprechende Biodiversitäts-Gesetz eingebracht hatten. Unter ihnen war auch die aktuelle Ministerin für den ökologischen Übergang Pompili, die damals Staatssekretärin für Biodiversität war.
„Dieses Verbot hat unser Land als Vorreiter beim Schutz von Bestäubern positioniert,“ zeigte sich das Landwirtschaftsministerium damals in einer Pressemitteilung überaus zufrieden.
Zwei Jahre später beabsichtigt die Regierung nun, insbesondere die französische Zuckerrübenindustrie durch die Wiedereinführung von Neonikotinoiden zu schützen.
Zuckerrüben: Ein Wirtschaftssektor in der Krise
Die aktuelle Lage sei „eine beispiellose Krise, mit einem Kontext, in dem es heute keine Alternative gibt“, hatte Landwirtschaftsminister Denormandie am 6. August während eines Treffens mit Vertretern des Zuckersektors erklärt.
Tatsächlich stecken die Rübenbauern seit Monaten in einer Krise, die nach wie vor nicht beendet ist, und bitten um Hilfe. Das Hauptproblem ist ausnahmsweise nicht die Coronavirus-Pandemie, sondern grüne Blattläuse, die die Rübenplantagen befallen und zu einem Ertragsverlust von 30 bis 50 Prozent geführt haben.
Die Zuckerindustrie ist ein Schlüsselsektor der französischen Wirtschaft: Sie bietet 46.000 Arbeitsplätze für rund 25.000 Landwirte sowie Angestellte in 21 Zuckerfabriken.
Um ihre Position als Europas führender Zuckerproduzent zu erhalten, scheint die französische Regierung daher nicht zu zögern, das Gesetz zur Artenvielfalt von 2016 zu revidieren: Im Unterstützungsplan für die Zuckerrübenindustrie kündigte das Landwirtschaftsministerium „eine Gesetzesänderung für diesen Herbst“ an, um „unter streng kontrollierten Bedingungen“ eine „120-Tage-Ausnahmeregelung zur Aussaatzeit“ für mit gewissen Insektiziden behandeltes Saatgut zu gewähren.
Deutschland engagiert sich stärker gegen „Bienenkiller“
Dieses plötzliche Comeback der Neonikotinoide in Frankreich dürfte derweil auf der anderen Rheinseite für Zähneknirschen sorgen. In Deutschland wird der Kampf gegen diese Stoffe – die unter anderem den Orientierungssinn, das Gedächtnis und die Fortpflanzungsweise der Bienen stören sollen – seit fast elf Jahren geführt.
In ihrem Bericht über den Stand der Verbote von Neonikotinoiden in Europa weist die nationale Imkervereinigung Frankreichs darauf hin, dass Deutschland bereits 2009 „restriktive Maßnahmen gegen die Behandlung von Strohgetreidesaatgut“ mit bestimmten Arten von Neonikotinoiden ergriffen habe.
Angesichts des Imports von mit neonikotinoiden Substanzen behandeltem Saatgut aus dem Ausland wurden die Beschränkungen 2015 weiter verschärft. So wurde ein Gesetzestext verabschiedet, der „das Inverkehrbringen, die Einfuhr und die Aussaat“ derartiger Produkte offiziell verbietet.
Angesichts der französischen Entscheidung zur Wiedereinführung von Neonikotinoiden nahm Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament und Mitglied des parlamentarischen Umweltausschusses, kein Blatt vor den Mund: In einem Brief an Kommissionsvizepräsident Franz Timmermanns fordert der grüne Europaabgeordnete die Kommission direkt auf, die französischen Ambitionen zu stoppen.
Im Brief heißt es: „Neonikotinoide sind äußerst schädlich, und ihre Verwendung ist nicht ohne Grund verboten. Frankreich darf mit seiner Forderung, sie mittels einer „Notfallgenehmigung“ wieder zu verwenden, nicht durchkommen.“
Gemäß Artikel 53 der EU-Verordnung 1107/2009 dürfen EU-Mitgliedstaaten eine „begrenzte und kontrollierte Verwendung“ von gewissen Mitteln zulassen, „sofern sich eine solche Maßnahme angesichts einer anders nicht abzuwehrenden Gefahr als notwendig erweist“.
Häusling fordert in diesem Zusammenhang mehr Durchsetzungskraft von Seiten der Kommission: „Die skandalöse Praxis einiger Mitgliedsstaaten, Neonikotinoide trotz des EU-Verbots durch sogenannte Notstandsgenehmigungen zu verwenden, muss sofort beendet werden.“
Der französische Gesetzentwurf über die Ausnahmeregelung für Neonikotinoide wird dem Ministerrat am morgigen Donnerstag vorgelegt.
[Bearbeitet von Tim Steins]